Konkanküste: Welcome to the beach!

An der zentralen Westküste Indiens, 2008 © emmenreiter.de

Daman: Das Meer vor Augen

Auf dem Weg von Champaner nach Daman legen wir nahe Baruch eine Zwischenübernachtung ein. Ab Vadodara bis Surat befindet sich der Highway 8 nämlich durchgehend im Bau und Schlangen von Lastwagen, Bussen und schlechten Autofahrern wälzen sich auf nur einer Fahrbahn im Schneckentempo vorwärts. Mit den MZ schlängeln wir uns geduldig durch. Nach anstrengenden fünf Stunden und hundertdreißig Kilometern steigen wir ausnahmsweise in einem Hotel direkt am Highway ab.
18. Dezember. Wir erreichen die warme Westküste und haben zum ersten Mal das Arabische Meer vor Augen. Hier in Daman, einer kleinen ehemals portugiesischen Kolonie 140 Kilometer nördlich von Mumbai, entspricht der Strand zwar noch keinem tropischen Paradies, aber wir fühlen uns trotzdem sehr wohl in dem Küstenstädtchen. Es ist ein Urlaubsort für gut gelaunte Inder, in dem sich selten ausländische Touristen tummeln. Im freundlichen Brighton Hotel mit Blick aufs Meer gibt man uns ein sonniges, sauberes Zimmer und den Motorrädern sogar einen Garageplatz.
In Daman gewöhnen wir uns erstmal an das schwülwarme Wetter. Die beiden Strände Devka und Jampore ein paar Kilometer nördlich und südlich der Stadt laden uns nicht zum Baden ein, aber wenigstens zu einem Spaziergang. Im Internetcafé recherchiert Micha nach Ersatzteilen für die MZ, die unser Freund Andreas bei seinem Besuch im Januar aus Deutschland mitbringen kann. Günter Six (www.mzsimson.de) hatte von selbst angeboten, uns auf der Tour kostenlos mit Ersatzteilen zu versorgen. Das finden wir super! Und jetzt, wo die Mopeds uns artig bis nach Indien gebuckelt haben, sollen ein paar Teile wie Kettenkit und Schwingenlager erneuert werden. Nach drei Tagen Akklimatisierung in Daman geht es nun, im Bogen vorbei am Großstadtverkehr in Mumbai, immer weiter nach Süden. Die Konkanküste – der etwa 500-Kilometer-Abschnitt zwischen Mumbai und Goa – soll super sein und einsame Strände haben. Genau das Richtige für die Festtage…

Heilig Abend im Fischerdorf Murud

21. Dezember. Die Fahrt von Daman bis zum Fischerdorf Murud dauert neun Stunden inklusive einer kurzen Tankpause. Es ist Sonntag und wir sind morgens um sieben Uhr losgefahren, als es noch kühl und ruhig war. Doch schon nach einer kurzen Weile auf der Straße wurde der Verkehr immer dichter und der Bogen um Mumbai zog sich hin. Die Ortwegweiser in kleineren Städten und auf den Nebenstraßen sind fast immer in Hindi, so dass wir öfter mal anhalten und nachfragen müssen. Die Kilometerangaben der Inder dürfen wir dann nicht so ernst nehmen, die Richtung jedoch stimmt meistens. Die letzten fünfzig Kilometer von Alibad nach Murud bringen wir auf einer kleinen, holprigen Küstenstraße durch schattige Palmenwälder und kleine Dörfer hinter uns. Der Hintern fühlt sich platt und wund an vom langen Sitzen. Die Sonne ist noch kräftig und treibt die Schweißperlen, als wir endlich absteigen, um an der Strandstraße in Murud nach einer geeigneten Bleibe zu suchen. Obwohl die Konkanküste touristisch nicht so gut erschlossen ist und fast nur von Indern besucht wird, sind wir umso verwunderter, wie teuer hier die Unterkünfte im Vergleich zu Anderswo sind. Auf unserer bisherigen Indienreise haben wir überall in einem einfachen, aber schönen Doppelzimmer für 200 bis 500 Rupi die Nacht gewohnt; das sind drei bis sieben Euro. In den Strandressorts der Konkanküste steht das Drei- bis Fünfzehnfache auf der Preistafel. Zu Feiertagen wie Weihnachten und Silvester wird sogar noch drauf geschlagen. Einige Hotels kassieren ein durchschnittliches indisches Monatsgehalt pro Übernachtung und sind trotzdem ausgebucht. Das können sich nur die wachsende indische Mittelklasse und Besserverdiener aus Mumbai leisten, die man unter anderem daran erkennt, dass sie unübersehbar fülliger sind. Fette Bäuche und dicke Kinder sind also auch in Indien angekommen. Wir sind in einem kleinen Gasthaus mit Meerblick untergekommen. In der Nähe gibt es ein einfaches Strandrestaurant und im Dorf eine bunte, quirlige Ladenstraße mit frischen Gemüseständen. Es ist mittlerweile Heiligabend und da kochen wir seit langem mal wieder selbst. Keine Gans, aber immerhin in den Festfarben Rot, Grün, Weiß. Es gibt Pasta al dente mit frischer Tomaten-Knoblauch-Erbsen-Curry-Sauce, zubereitet auf dem Flachdach unserer Unterkunft am Strand. Angestoßen wird mit Tari, privat hergestelltem Kokuswein, gewonnen von den Früchten der Palmen auf dem Hof. Micha pfeift zwar ein Weihnachtslied, aber gegen die Sommer-Sonne-Meer-Stimmung kommt das nicht an. Die Bescherung fällt einfach aus: Dass wir beide hier sitzen, ist unser Geschenk.
Bevor wir ins nächste Dorf weiterziehen, machen wir noch einen Ausflug zur Inselfestung Janjira, die seit 870 Jahren ein paar Kilometer von Murud entfernt im Meer liegt. Es ist eine verwilderte Ruine mit alten Tempeln, Gewölben, Treppen und Eisenkanonenrohren – ein perfekter Abenteuerspielplatz. Wir setzen uns mit siebenunddreißig Indern auf die Planken eines kleinen Holzsegelboots und lassen uns vom einheimischen Bootsmann gemächlich zur Festung rüberschippern. Auf dem Weg zur Bootsanlegestelle halten wir noch kurz am morgendlichen Muruder Fischmarkt an. Frauen verkaufen den Frühfang ihrer Männer aus Körben und Blecheimern. Für die herrenlosen Dorfkatzen fällt dabei auch was ab. Abends probiert Micha im Dorfrestaurant sein erstes indisches Fischgericht – eine sehr schmackhafte Abwechslung zum vegetarischen Curry.
Die Menschen in Murud machen einen zufriedenen Eindruck. Allerdings entgeht uns nicht, dass der Junge, der im Gasthaus saubermacht oder im Restaurant von morgens bis abends das Geschirr abräumt und wäscht, höchstens dreizehn Jahre alt ist. Und das Frauen, immer in ihren hübschen Saris gekleidet, schwerste Holzbündel auf ihren Köpfen und zarten, kleinen Körpern im Laufschritt über lange Strecken balancieren müssen.

Glückliche Weihnachten in Ganpatipule

Am ersten Weihnachtsfeiertag ziehen wir etwa dreihundert Kilometer nach Ganpatipule weiter. Als wir ankommen, ist das Dorf voller indischer Urlauber und Schulklassen, die zum Tempel am Strand pilgern und ein paar Tage Weihnachtsferien genießen. Obwohl das Fest für sie religiös keine Bedeutung hat, ist es immerhin ein sehr beliebter Anlass für Urlaub. Der kilometerlange Strand in Ganpatipule hat genügend einsame Abschnitte, an denen wir ungestört im klaren, milden Meer baden oder mit der MZ umher cruisen können. In Indien gibt es zum Glück keine Verbotsschilder, die unsere Freiheit einschränken. Die Inder, meistens Nichtschwimmer, sehen wir beim Badengehen immer nur bis zur Hüfte im Wasser und sie kreischen wie Kinder bei jeder Welle. Die Frauen gehen voll bekleidet baden. Die Atmosphäre ist so entspannt und herrlich! Wir leben noch mehr als sonst in den Tag hinein, fahren mit der MZ in der Gegend herum und streifen durch kleine Fischerdörfer. Die Menschen sind wie immer fröhlich und freuen sich über ein bisschen Smalltalk. Auch ohne gemeinsame Sprache geht das wunderbar.
Für den Silvesterabend kaufen wir frische Shrimps und laden Radames, ein viel reisender Italiener, den wir gerade kennen gelernt haben, zum Essen ein. Keiner von uns Dreien bleibt bis Mitternacht wach. Wir hören zwar das kurze Feuerwerk um Zwölf, aber ansonsten ist die letzte Nacht im alten Jahr ruhiger als manch Andere. Normalerweise umgeben uns laute Geräusche wie Gepolter, Geschreie, Gehupe auch nachts und viel zu früh morgens. Das Wort Ruhestörung gehört nicht zum Wortschatz der indischen Sprache. Wir haben uns beim Schlafengehen immer noch nicht daran gewöhnt, aber wir geben uns Mühe. Das Dorf hat zwar eine ganze Reihe Hotels und toller Strände unter Kokusnusspalmen, ist aber nicht auf ausländische Touristen eingestellt. Das merken wir an dem einzig verfügbaren Computer mit unzuverlässigem Internetanschluss und den Restaurants mit zu scharf gewürztem Essen. Außerdem können wir hier nirgends Klopapier kaufen. Die Inder benutzen ja normalerweise keines. Die meisten indischen Badezimmer beinhalten ein Hockklo, neben dem ein kleiner Eimer unter einem Wasserhahn steht. Dieses Utensil wird mit der linken Hand zur Reinigung nach dem Klogang benutzt. Uns ist Klopapier (oder notfalls Servietten) lieber. Unter den anderen beiden Wasserhähnen an der Wand stehen ein Eimer mit Schöpfbecher und daneben ein flacher Hocker, auf denen sich die Inder im Hocken waschen. Neben dem Schneidersitz ist die Hocke in Indien generell die beliebteste Körperhaltung, auch bei den älteren Menschen. Unsere europäischen Kniegelenke halten da niemals mit.

Jahresanfang in Malvan und Tarkali

Erster, Erster, Zweitausendneun. Ein schönes neues Jahr! Hoffentlich wird es genauso aufregend wie das letzte. Bei der sechsstündigen Weiterfahrt nach Malvan haben wir genug Zeit, darüber nachzudenken, was uns die nächsten zwölf Monate bringen könnten. Wenn wir genug Geld übrig hätten, würden wir natürlich immer weiter gen Osten reisen und so die Welt umrunden. Schade, so bleiben uns nur noch ein paar Monate bis zur Rückreise in die Heimat. Und dann? Für eine Antwort war die Fahrt nach Malvan viel zu kurz.
Um drei Uhr nachmittags knattern beide MZ hinter Malvan langsam über die ruhige Straße im grünschattigen Hinterland des Tarkali-Strandes. Wir suchen mal wieder ein kleines Zuhause und finden gleich was Passendes: Ein nettes Zimmer in einem Ferienhäuschen, das eine liebe ältere Frau vermietet. Das schattige Plätzchen gefällt uns auf Anhieb und in ein paar Minuten haben wir uns eingerichtet. Unser Florentinerfreund Ramades kommt abends ebenfalls mit dem Bus an und zieht ins Nachbarzimmer ein.
Nach ein paar Tagen in Malvan, wo es schön leise und grün ist, werden wir uns noch im kleinen Küstenstaat Goa umsehen. Goa ist bekannt für seine unterschiedlichen Strände, an denen jeder Reisende sein Glück findet: Von ruhigen Plätzchen bis hin zur Party Non Stop, von Einfach bis Luxusklasse ist alles dabei. Bald sollen die Preise auch wieder reisekassefreundlicher sein, so dass wir beide zusammen mit Unterkunft, Verpflegung und Benzinkosten auf unseren indischen Tagesdurchschnitt von zweiundzwanzig Euro kommen. Unvorstellbar günstig, aber einkalkuliert in unserem Jahresbudgetplan.

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6 Gedanken zu “Konkanküste: Welcome to the beach!

  1. kann mich meinem Vorrdener nur anschließen: Neid!!!! und Respekt für den Mut alles hier ruhen zu lassen und auf große Fahrt zu gehen!
    Wünsche euch alles Gute und immer unfall- und pannenfreie Fahrt!

  2. Danke Euch allen!!! Dass wir unsere Reise immer noch so sehr geniessen, liegt auch an unseren neuen und alten Freunden in Deutschland, die online auf der Sitzbank ueberall hin mitfahren!

    Wir sind jetzt in Nord-Goa, zusammen mit vielen anderen Touristen. Gestern wurden wir hier von einem deutschen Urlauber erkannt, der unsere Webseite kannte.

    Laessige Gruesse, Micha und Suse

  3. Allersonnigste Grüße an Euch beide,

    ja, Sonne haben wir hier auch. Sie geht grad in den schönsten Farben unter. Nur mit der Wärme klappt es nicht mehr so ganz.
    Wünsche Euch noch ein supertolles, gesundes und kilometerlanges 2009.

    Ich glaube, vor einem Jahr habe ich das erste Mal im Pub von Euren Reiseplänen gehört und nun seid ihr schon fast wieder da – auch wenn ihr das gar nicht hören wollt.

    Noch eine wunderbare Zeit.
    Eure Tina

  4. Hallo Susanne und Michael,

    nach dieser guten und langen Fahrt wünsche ich Euch für das Neue Jahr, dass die Schwingenbolzen ein Einsehen haben mit eurer exponierten Lage und sich leicht rausziehen lassen.

    Weiterhin eine gute Zeit!

    Gruss janus

  5. Neid!!!!!
    Und doch – wir gönnen es euch von Herzen.
    Der trocken hanseatische Kaufmann würde sagen: Das habt ihr euch redlich verdient, genießt es!
    Aber was die Segelmacherarbeiten angeht, sind wir in den Winterstürmen andere Qualität gewohnt.
    Aber wenn ihr das Gewohnte haben wolltet, würdet ihr euch hier bei uns alles Hervorstehende abfrieren.
    Ich wünsche euch noch viele wohlfeile Quartiere und Kraftstoffpreise.
    Hier liegt der Liter Diesel derzeit unter 1 Euro!!!
    Besten Gruß nach portugiesisch-Indien 😉
    Martin

  6. Hallo Eurasier,
    also wer da nicht neidisch wird????? Klasse Bilder wieder, die hoffentlich zahlreich in Eurem Buch erscheinen werden. T-shirt?? bei uns?? Eine Kälteperiode mit bis 20Grad minus kommt auf uns zu, und ich fahr nächstes Wochenende nach Österreich in die Berge zum Motorradtreffen. Muss nochmal nachschauen wie weit mein Schlafsack reicht!
    Lassts Euch weiterhin gutgehen und sagt Budda einen schönen Gruss!
    Gruss
    Fränky