Darjeeling: Super Fine Tippy Golden Flowery Orange Pekoe One

…diese Überschrift verstehen nur echte Teekenner.

Im Haus einer Teepflückerin in Darjeeling (c) emmenreiter.de

Bengalen: Landflucht nach Norden

Als wir am 5. März morgens in Kalkutta das Gepäck für die Flucht aufs bengalische Land auf die Motorräder hieven, leiden wir unter einer gefühlten hundertzwanzigprozentigen Luftfeuchtigkeit. Noch bevor wir überhaupt angekickt haben, sind unsere T-Shirts durchgeweicht und unsere Energiereserven um ein Viertel geschrumpft. Vielleicht aus Mitleid schenkt uns das Hotel zum Abschied einen Flaschenöffner. Jeder Inder glaubt nämlich zu wissen, dass alle Touristen am liebsten Bier trinken.
Aus der Stadt heraus gibt es wieder keinen einzigen Wegweiser. Wir sollen immer nach Siliguri fragen, dann zeigt man uns den richtigen Weg, so der hilfsbereite Manager aus dem Howrah Hotel. Mit diesem Hinweis bekommen wir tatsächlich jedes Mal eine klare Richtung gewiesen. Und dennoch zieht sich die Fahrt nach Norden hin. Kalkutta will nicht enden. Mittlerweile ist es schon fast Mittag und wir bleiben in der prallen Sonne auch noch an einem geschlossenen Bahnübergang hängen. Als endlich der vierte Zug vorbei geschlichen ist, öffnen sich die Schranken. Erst fünfundsechzig Kilometer, zeigt der Kilometerzähler, und wir sind jetzt schon k.o.
Die anderen hundertsiebzig Kilometer bis zum Tagesziel Murshidabad reiten wir mit steifem Nacken und meistens fünfzig km/h auf der Landstraße ab. Es ist Sonntag und trotzdem sind viele LKW und Busse unterwegs, die uns ständig ausbremsen. Risse und Schlaglöcher im alten Asphalt halten uns wach. Irgendwann stoppen wir endlich an einem Wegweiser, der gleich zwanzig Orte aufführt, nur nicht Murshidabad. Und das, obwohl die ländliche Stadt damals eine Zeit lang die Hauptstadt Bengalens war und fast so eindrucksvoll wie London. Jedenfalls behauptet das der extrem gastfreundliche Hotelbesitzer des Manjusha Hotels, in dem wir nach Ankunft erleichtert und müde absteigen.

Murshidabad: Leben am Fluss

Das Hotel liegt direkt am Ufer des Bhagirathi Flusses und in den Zimmern fliegen daher ganze Mückenschwärme umher. Soviel Mücken haben wir noch nie auf einmal gesehen. Dank Moskitonetz verbringen wir hier eine ungestörte Nacht und freuen uns, dass wir der Großstadt entkommen sind.
Um sieben Uhr sind wir ausgeschlafen und tuckern zusammen mit unserem Zimmernachbarn Michael aus Australien im Boot flussaufwärts zu ein paar alten Hindutempeln. Links und rechts am Ufer liegen saftgrüne Reisfelder und kleine Bananenplantagen. Wir können beobachten, wie das Leben am Fluss erwacht. Die Menschen nehmen ihre Morgendusche, Frauen polieren ihre Messingwasserkrüge im Schlamm oder schlagen im Hocken die Wäsche auf Steine. Männer manövrieren mit riesigen Heuballen überladene Fahrräder auf die Bambusplattform eines wackeligen Holzbootes, das sie ans andere Ufer schippern soll. Wir sehen sogar Flussdelphine, die durchs Wasser springen. Fischer wippen am Ufer auf meterhohen Bambusrohrgerüsten ihr Fangnetz an die Oberfläche. Nach etwa einer Stunde Uferbeobachtung steigen wir in dem friedlichen Dorf mit gleich sechs bengalischen Shiva Tempeln aus, die in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts mit einer beeindruckenden Fassade aus unendlichen Ornamenten erbaut wurden. Keine Darstellung in den Ziegeln scheint sich zu wiederholen. Kinder aus dem Dorf beschenken mich mit selbst gepflückten Blumensträußchen, in der Hoffnung auf Schokolade.
Langsam entspannen wir uns und bleiben mal wieder einen Tag länger als geplant im erholsamen Murshidabad. Wir besichtigen die ungewöhnliche Architektur – Paläste, Herrenhäuser, Tempel und ein muslimisches Imambara – die irgendwie wahllos in der Gegend gestreut nur noch erahnen lässt, dass der heute eher ländliche Ort einmal eine florierende Stadt war. An meinem Geburtstag verlassen wir Murshidabad. Außer der Kerze am Frühstückstisch ist es ein ganz normaler Motorradtag in Indien. Die Fahrt ist wieder anstrengend. In Malda nahe der Grenze zu Bangladesh kommen wir tatsächlich zum ersten Mal in Indien in einen richtigen Stau. Alles, was zwei Räder hat, drängelt sich zum Glück irgendwie nach vorne durch. Dabei machen wir eine sehr ungewöhnliche Entdeckung: bengalische „Schulbusse”. Etwa zehn Kinder drängeln sich in einen übergroßen Hühnerkäfig auf drei Rädern. Sieht aus, als würde man sie zum Schlachthof statt auf den Schulhof fahren. Wir legen noch eine letzte Zwischenübernachtung in Raiganj ein, bevor wir Darjeeling erreichen. Zur Feier des Tages bestellen wir als Ersatz für Kaffee und Käsekuchen, Tee und Toast mit indischer Marmelade, die wie gewöhnlich nach übersüßtem Kaugummi schmeckt.

Die westbengalischen Berge: Klimawandel in zwei Stunden

Am internationalen Frauentag erreichen wir Siliguri und biegen vor der Stadt links auf die Bergstraße nach Darjeeling ab. Wir fahren jetzt durch Wälder und kleine Dörfer mit bunten Holzhäusern. Wir blicken in runde Gesichter, die nicht mehr indisch aussehen. Nepalesen und Tibeter haben die Berglandschaft um Darjeeling besiedelt. Unzählige Male poltern unsere Emmen über die ausgefahrenen Bahnübergänge der 218 Jahre alten Schmalspurbahn, deren Gleise im Schlängelweg die Straße kreuzen. Wir hören auf einmal das laute Pfeifen einer Dampflok – die als Weltkulturerbe gewürdigte und ziemlich wackelige Himalayan Railway kutschiert tatsächlich immer noch Passagiere aus dem Flachland nach Darjeeling. Die Bahn braucht doppelt solange wie die MZ. Fast siebzig Kilometer und zweieinhalb Stunden kurven wir nach oben bis auf 2134 Meter. Die Luft ist jetzt kalt. Weißer, dichter Nebel verhüllt die Gegend. Wir erkennen kaum noch die Lichter der Jeeps, die uns aus Darjeeling entgegenkommen.

Darjeeling: Ein Gewirr aus tausend Gassen

Darjeeling besteht auf den ersten Blick aus unzähligen engen und sehr steilen Gassen, die sich an den Hügeln der Stadt undurchschaubar nach oben winden. Verkehrspolizisten müssen verhindern, dass sich der Verkehr an den engen Kreuzungen und in den einspurigen Straßen verknotet. Unser Orientierungssinn reicht nicht mehr aus. Die Suche nach dem richtigen Hotel dauert. Am Ende des Tages ist aber alles gut und wir fädeln beide Mopeds mit einem Zentimeter Platz zum Auto des Hotelbesitzers in dessen Garage ein. Nach vier Monaten schweißtreibender Hitze überkommt uns zum ersten Mal ein Kälteschauer. Das Wasser aus der Dusche ist eisig und sticht in die Haut. Zitternd kramen wir die Schlafsäcke, Daunenjacken und Wollsocken raus und klettern früh ins klamme Bett. An solche Temperaturen müssen wir uns erst mal wieder gewöhnen.

Exquisite Teestunde

Trotz Kratzen im Hals und Rotznase ist uns der schnelle Klimawandel eine irgendwie ersehnte Abwechslung. Endlich können wir mal wieder eine dampfende Tasse Tee gemütlich zwischen zwei frierenden Händen genießen. Das erinnert uns an Zuhause. Und in der berühmten Stadt des Tees ist das natürlich ein exquisites Erlebnis.
Wir wandern bei schönem Wetter zwei Kilometer ins untere Darjeeling zum Happy Valley Tea Estate, wo uns eine ehemalige Teepflückerin zur Teestunde einlädt. Von ihr lernen wir, dass die höchste Qualitätsstufe des Darjeeling Tees als „Super Fine Tippy Golden Flowery Orange Pekoe 1″ bezeichnet wird. Für diesen Tee wird nur die feine, oberste Blattspitze aus dem ersten Pflückdurchgang im Frühling verwendet. Sie gibt dem Tee eine goldene Farbe und ein besonders mildes Aroma.
Das Happy Valley Tea Estate ist unter vierundachtzig Plantagen die älteste und berühmteste in Darjeeling. Das englische Nobelkaufhaus Harrods lässt sich exklusiv von ihr beliefern. Die Teebüsche am Hang sind mittlerweile zwischen 80 und 150 Jahre alt. Der Happy Valley Tee muss nur ein paar Sekunden im gekochten Wasser ziehen und kann dann noch zweimal aufgebrüht werden. Die Kostprobe bestätigt uns ein wirklich tolles Aroma.
Obwohl normalerweise im März die Teesaison beginnt und die Plantagen mit der ersten Ernte und dem Trocknen der Blätter anfangen, sind die Pflückerinnen in Darjeeling noch nicht am Werk. Der Winter war zu trocken und noch immer warten alle auf Regen, der die Teebüsche aufblühen und die Blattspitzen sprießen lässt. Als wir dort sind, sind die Frauen damit beschäftigt, die Reihen zwischen den Büschen zu säubern.

Tenzing, Edmund und Reinhold

Darjeeling ist nicht nur für seinen Tee bekannt. Es ist auch die Heimat von Sherpa Tenzing Norgay, der zusammen mit dem Engländer Edmund Hillary 1953 als Erster den Mount Everest bestieg. Das hiesige Bergsteiger Institut, das Tenzing lange Jahre leitete, ist weltbekannt und bildet noch heute Bergsteiger aus. Landsmann Reinhold Messner – mit einem „E” zuviel im Messingnamenschild unter seinem Foto an der Legendenwand – wird im Institutsmuseum als Derjenige gewürdigt, der bisher als Einziger in alle vierzehn Achttausendergipfel im Himalaja einen Wimpel gesteckt hat. Wir haben leider nicht daran gedacht, dem Museumsleiter vorzuschlagen, ein Foto von „den ersten MZ, die den Himalaja bezwungen haben” auszustellen. Bevor wir nach Hause fahren, wollen auch wir dem Mount Everest einen Besuch abstatten. Die Emmen sollen von Nepal aus wenigstens mal einen Blick auf den höchsten Berg der Erde werfen.

Nepal muss noch ein bisschen warten

Bevor wir von hier aus ins südöstliche Terai von Nepal ausreisen können, vergehen noch ein paar Tage, denn in Nepal wird gerade gestreikt. Straßen und Tankstellen sind durch Blockaden versperrt. Die Grenze in Karkabitta soll sogar geschlossen sein. Uns bleibt also Zeit, die Teehäuser in Darjeeling auszuprobieren und das Holifest mitzuerleben, bei dem Hindus das Ende der Trockenzeit herbeifeiern und Wasser und Farbpulver auf die Menschen streuen.
Wir wollten eigentlich schon Anfang März in Nepal sein und sind deshalb ein bisschen unruhig. Das Ende des Streiks ist ungewiss, weiter Abwarten und Tee trinken wollen wir nicht. Der Hotelbesitzer erkundigt sich für uns bei einem Kollegen in Nepal über die Situation vor Ort. Als Touristen auf dem Motorrad könnten wir die Grenze wohl problemlos überqueren.
Aber das Schicksal will es, das Micha wieder zur Untersuchung ins Krankenhaus muss, was die Weiterfahrt von selbst um nochmals zwei Tage verzögert. Seine Amöben waren gegen die letzten Medikamente resistent, so das der Chefarzt – und übrigens Darmspezialist – noch mal was Neues verschreibt. Es war der letzte Besuch in einem indischen Krankenhaus – dieses Mal eine alte, zweistöckige Baracke. Die Krankenschwestern tragen hier Uniformen wie in den Vierziger Jahren. Auf dem dunklen, muffig riechenden Flur stehen Geräte, die wohl auch aus dieser Zeit stammen. Aus der Toilette stinkt es nach Gulli. Das Behandlungszimmer des Arztes ist nur durch einen speckigen Vorhang von den wartenden Patienten getrennt. Die Behandlung und der sofortige Labortest kosten zusammen allerdings nur 200 Rupien, also etwa drei Euro.

Am 15. März 2009 knattern wir guter Hoffnung an die ostnepalesische Grenze…

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2 Gedanken zu “Darjeeling: Super Fine Tippy Golden Flowery Orange Pekoe One

  1. Das sind ja hartnäckige Amöben. Da scheint ein ganz besonders resistener Stamm von Micha Besitz ergriffen zu haben. Und dabei heißt es in meinem Medizinhandbuch, dass Amöben-Enteritis mit Antibiotika gut zu behandeln sei. Jetzt hoffe ich mal, dass für eine erfolgreiche Behandlung die ärztliche Kunst mehr ausschlaggebend ist, als die äußeren Umstände oder der Preis!
    Das mit dem Mehrfachaufbrühen eines guten Darjeeling habe ich für mich auch schon entdeckt.
    Hoffentlich findet ihr auch ohne GPS-Routen euren weiteren Weg so erfolgreich.
    Zum Thema Messner: Lasst euch nicht vom Yeti fressen! Die Welt braucht euch noch 😉
    Ganz herzliche Grüße
    Martin

  2. Hallo ihr beiden, da wart ihr ja mal wieder fleißig am Schreiben- und so schöne Fotos von euch beiden. Irgendwie beneiden wir euch manchmal um eure schönen Erlebnisse., außer mit den Amöben. Von hier aus gute Besserung.
    Umarmen euch. Es grüßen Tante Eva und Heiko.