Kirgistan: Wunden lecken in Osch

MZ-Schrauberhände

MZ kaputt: Schrauberhände in Osch © emmenreiter.de

Operation MZ: Tage in der Werkstatt

20. Juli. Wir sind froh, an der Grenze nach Kirgistan zu stehen. Nach dem Schock mit dem Sturz ist es uns egal, dass die Grenzer gerade Mittagspause machen. Es stört mich auch nicht im geringsten, dass wir nach der Abfertigung fast noch anderthalb Stunden darauf warten werden, dass wir endlich die kirgisische Ökosteuer von 500 Sum pro Motorrad (knapp 7,- Euro) zahlen können. Der Automat dafür ist nämlich gerade kaputt gegangen und jemand aus Osch muss erst kommen, um ihn zu reparieren.
Immer noch tief enttäuscht laufe ich an der Grenze um mein Motorrad herum. Meine Halsmuskeln und die rechte Rückenseite tun weh. Hoffentlich sind wir bald im Hotel und können einen Masterplan aufstellen, wie wir die Emme wieder hinkriegen. In dem Moment kommt ein anderer Motorradreisender durch die Schranke gefahren. Es ist Roc aus Barcelona, den wir schon in Chiwa und Buchara getroffen hatten. Seine unerschütterlich pragmatische Lebenseinstellung ist eine gute Ablenkung. In Osch gäbe es eine bekannte Motorradwerkstatt, die einem Schweizer gehört, und die er besuchen müsse, erzählt Roc. Da könnten wir morgen also zusammen hinfahren. Micha und ich sind glücklich, das zu hören.
Die Herren vom kirgisischen Zoll geben uns bis weit in den September hinein Zeit, mit den Emmen im Land zu bleiben. Das verschafft uns Spielraum. Jetzt sind es nur noch ein paar Kilometer bis zum Salam-Hotel und wir können endlich anfangen, die Wunden zu lecken.
Abends im Bett geht mir der Sturz durch den Kopf. Trotz der Aufregung schlafen wir beide besser, als erwartet. Und mit den blauen Flecken, die sich nach dem Aufstehen zeigen, kann ich gut leben. Nach dem Frühstück fahren Roc, Micha und ich in die Werkstatt (MuzToo). Dort stehen wir vor einer überdachten Toreinfahrt, in der Patrick und sein russischer Kollege Kolja gerade an zwei Motorrädern schrauben. Dahinter eröffnet sich ein großer, sonniger und mit Gras bewachsener Hof, auf dem unzählige Yahama XT 600er und andere Motorräder parken, die allesamt nach Abenteuer aussehen. Scheint so, als seien wir an einem Ort, an dem man sich mit diesen Dingern auskennt.
Wegen der verschmierten Schrauberhände werden wir mit dem Unterarm gelassen und freundlich begrüßt und der Patient wird sogleich unter die Lupe genommen. Micha baut den Tank meiner Emme ab und ein deformierter Kastenrahmen kommt zum Vorschein. Ausgerechnet Kolja, der Profi für`s Grobe, schüttelt wenig optimistisch den Kopf. Nervös beobachte ich die Gesichter von Patrick, Kolja und Micha, als sie um mein Motorrad herum laufen, nachmessen und sich gegenseitig fragen, wie man die Probleme lösen könne. Es ist wie ein Krimi, kaum auszuhalten. Nach einer Weile steht fest, welche MZ-Ersatzteile wir aus Deutschland brauchen. Den Rahmen will Kolja morgen zum Ziehen auf eine professionelle Richtbank bringen, die es erst seit kurzem in Osch gibt. Davon hängt nun alles ab.

MZ-Ersatzteile: Hilfe aus Deutschland

„Morgenabend kommt ein deutscher Tourist zu uns“, sagt Patrick, der in erster Linie geführte Offroad-Touren anbietet. „Wenn ihr es schafft, bis dahin die MZ-Ersatzteile zu besorgen, würde er die sicher mitbringen.“ Während Micha mein Motorrad auf dem Hof nach und nach in seine Einzelteile zerlegt, whats-appe ich aufgeregt mit Güsi (mzsimson.de), der uns angeboten hatte, im Notfall zu helfen. Und nun ist es leider soweit. Mit Herzklopfen tippe ich die Teile ins Handy – diese Autokorrektur macht einen ja wahnsinnig: neues Telegabelrohr, Lenkkopflager, Schweinwerfereinsatz, Armaturenhalter und Tacho. Dann noch ein Schwimmerventil. Der Kettenkasten ist leider auch zersplittert. Güsi stellt ohne zu zögern das Paket zusammen – diese Hilfsbereitschaft tut gut und langsam merke ich, dass wir unser Problem wirklich lösen können.
Der deutsche Tourist ist Peter aus Lauterbach – mit 70 Jahren immer noch begeisterter Motorradfahrer, der mit seinem Freund Wilfried zehn Tage lang durch die wilden Berge Kirgistans fahren will. Als ich ihn anrufe, ist er ebenfalls sofort bereit, Kurier zu spielen. Spätestens morgen um zehn müsse er los zum Flughafen.
„Hallo Suse, eben ist das Paket angekommen… bis morgen, LG Peter“, lese ich Viertel vor zehn am nächsten Tag auf unserem Handy. Nur 44 Stunden nach der ganzen Aktion sitzen wir in Peters Hotelzimmer in Osch und packen wie Kinder an Weihnachten die Geschenke aus.
Mit den MZ-Ersatzteilen in der Hand stehen wir am Montagmorgen wieder hoffnungsvoll vor der Werkstatt. Im Hof erblicken wir sofort den gerichteten Rahmen! Kolja hebt seinen Daumen als Antwort auf den extrem guten Stahl der MZ. Die Jungs an der „Streckbank“ hatten ganz schön zu tun, macht er uns deutlich. Koljas Lächeln zeigt mir, dass wir damit wieder heil nachhause kommen können.
Ich ziehe mich erst mal in eine Ecke zurück und lasse Tränen laufen – vor Erleichterung und Freude über die Hilfe aller. Nach dem wir zuversichtlich sind, dass unser Emmenreiter-Abenteuer weitergehen kann, informieren wir Familie und Freunde über den Zwischenfall. Dann folgt eine schweißtreibende Schrauberwoche für Micha unter der heißen Sonne von Osch. Ich assistiere und fiebere mit. Als das Motorrad wieder wie ein Motorrad aussieht, müssen nur noch die Kofferträger und Koffer zurechtgebogen werden. Am Ende braucht leider auch noch die Schwinge eine Korrektur, denn das Hinterrad steht nicht gerade. Und endlich macht Micha eine kurze Probefahrt. Ich warte und lausche solange. Als er wieder auf den Hof der Werkstatt einbiegt, sehe ich sofort sein Grinsen unter`m Helm. Meine „neue“ Emme hat bestanden.

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Die ganze Reise im Überblick – mit Route, allen Reisegeschichten und Bildern:
Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad

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15 Gedanken zu “Kirgistan: Wunden lecken in Osch

  1. Hallo Ihr zwei!

    Mensch, das war ja ein Schreck, schon alleine beim Lesen! Freut mich, das Ihr Eure Reise unverletzt und mit reparierter Emme fortsetzen konntet. Da zahlt sich die Reparaturfreundlichkeit der MZ mal wieder aus, obwohl – mit Hammer, Zange, Draht… war da wohl nicht mehr viel zu machen… ;). Da war die Werkstatt ja wie ein Sechser im Lotto! Offenbar scheinen die Ahnung zu haben, denn selbst in der DDR (wo ja selten was weggeschmissen wurde bevor es nicht ganz hinüber war) wäre der Rahmen wohl im Schrott gelandet.

    Ich weiß, dass dieser Kommentar für Euch ein Schritt zurück an den Anfang Eurer Reise ist, aber ich bin auf die neue Tour erst jetzt aufmerksam geworden. Jetzt werde ich beim Lesen mal etwas Gas geben, damit ich demnächst up to date und wieder live dabei bin.

    Ich wünsche Euch noch eine Gute Reise, viele schöne Erlebnisse und wertvolle Begegnungen – und das Euch derartige Einlagen wie diese hier für den Rest der Reise erspart bleiben. Unfall oder Sturz ist das Letzte, was man in der Fremde gebrauchen kann.

    Gruß Klaus
    ehem. MZ-Stammtisch Lübeck, jetzt mit Sack und Pack und MZ auf seinem ganz eigenen Abenteuer als Auswanderer in Norwegen

  2. Ich kann garnicht aufhören zu lesen. Doch jetzt bin ich leider schon komplett durch. Aber ein Krimi ist nichts dagegen. Super. Macht bitte weiter so!…

  3. Hallo ihr zwei! Wie war eure Zeit am Song Köl See? Uns hat es ganz schön gefroren in der Jurte. Viel Spaß noch auf eurer Reise. Kristin und Michael aus München

  4. Hallo,ihr Lieben.
    Wir hoffen, dass deine blauen Flecke, liebe Susi, bald wieder weg sind und hoffen auf eine jetzt
    Reparatur freie Zeit. Wir sind stolz auf deine Schrauberkompetenzen, Micha.
    In Gedanken drücken wir euch ganz doll. Viele Grüße.Euer Tantchen und Heiko

  5. Es ist wunderbar zu lesen, dass es Euch und den Emmen gut geht. Eine ganz besonders spannende Geschichte über unerwartete Probleme, die sich von wie von selbst lösen weil Ihr sie akzeptiert, Euch voll auf die Lösung konzentriert, jede Hilfe erkennt und dankbar annehmt.

    Haltet die Spiegel oben 😉
    Andi